Librem 5 - Fazit nach 2 Jahren

Ich nutze das Librem 5 seit 2 Jahren und es gibt inzwischen viel Gutes in der Entwicklung zu berichten. Die Sprachqualität und die Stabilität der Telefonie ist in den letzten Monaten deutlich gestiegen. Das Librem 5 ist inzwischen eingeschränkt als primäres Smartphone zu nutzen. Was zwischenzeitlich an positiven Entwicklungen rund um das Librem 5 passiert ist, stimmt mich sehr positiv.

Eine positive Entwicklung merke ich an mir, ich fange an mein Notebook und mein Smartphone als gleichwertige Rechner zu sehen. Klar, jeder macht seinen Job auf seine weise aber was dabei wirklich wichtig ist, ich gewinne langsam Vertrauen in das Librem 5. Ich fange an die Gemeinsamkeiten des Desktops und des Librem 5 zu geniessen. Das UI wird einem immer Vertrauter und viele der Standardprogramme vom Gnome-Projekt sind ausreichend gut für den Einsatz auf Smartphones.

Es gibt einige Käufer die mit dem Ergebnis des Librem 5 nicht zufrieden sind und es im Forum von Purism oder bei eBay direkt wieder zum Kauf anbieten. Das ist absolut verständlich, es bleibt hinter den von Purism erweckten Erwartungen weiterhin zurück. Postiv muss man dabei berücksichtigen, dass diese Angebote mit viel Interesse wargenommen werden und das Librem 5 schnell wieder einen Besitzer hat. Wer auf der Suche nach einem Librem 5 ist, sollte bei eBay eine Suche speichern oder regelmäßig im Forum bei Purism nachschauen. Die Preise sind bisher immer fair und liegen um die 700 Euro (Versteuert, in Deutschland).

Folgend sind ein paar Punkte auf die ich näher eingehen möchte.

Telefonie

Die Sprachqualität des Librem 5 war immer so grotten schlecht, dass meine Gesprächpartner mich nie auf der mobilen Rufnummer angerufen haben. Wenn ich selbst davon angerufen habe, haben wir die Gespräche sehr kurz gehalten. Das hat sich inzwischen geändert, die Sprachqualität ist deutlich besser. Die Latenz ist immer noch zu spüren, was den bekannten Nebeneffekt hat, dass man sich gerne ins Wort fällt. Ich hoffe diese Latenz kann man noch etwas nach unten drücken, dann wäre ich damit durchgehend zu frieden.

Es kursieren noch viele Ideen rund um die Telefonie unter Linux z.B. wäre ein lokaler Anrufbeantworter wünschenswert, das Triggern von Skripten gebunden an eingehende Rufnummer/SMS oder das unterbinden von unterdrückten bzw. bestimmten Rufnummern. Ich gehe schwer davon aus, dass das Features sind die kommen werden, wenn Linux auf dem Smartphone eine größerer Beliebtheit hat.

Akku / Stromverbrauch

Der Stromverbrauch ist immer noch viel zu hoch und benötigt ein Strom/Battery-Management des Nutzers. Mindestens eine Ersatzakku muss bei Außeneinsätzen ab 4 Stunden immer dabei sein und ein USB-Ladekabel mit ordentlichem Netzteil wird gerne gesehen. Das ist immer noch die große Schwäche des Librem 5 - Ist so und bleibt meiner Meinung nach auch so. Es wird viel an den Stromsparfunktionen gearbeitet aber den Durchbruch in der Laufzeit habe ich nicht gemerkt.

Surfen

Der Firefox-Browser läuft im UI nun deutlich runder und man nutzt ihn gerne mal für zwischendurch. Die Performance ist zum Surfen (inkl. Videos) oder online Navigation aureichend (aber nicht schnell) und macht keine Probleme. Und da uBlock und uMatrix als Blocker auch hier hervorragend funktioniert, ist man auch hier Tracking frei(er) unterwegs. Für das Addon uMatrix, wenn man es nutzen möchte, sollte man zur Konfiguration immer einen zweiten vollwertigen Bildschirm in Anspruch nehmen, da das Plugin nicht auf kleinen Bildschirmen dargestellt werden kann.

Webapps

Viele WebApps habe ich per App-Icon eingebunden, damit ich sie wie normale Apps starten kann ohne Rahmen und Navigation des Browsers (Kiosk-Modus). Dazu legt man ein .desktop file unter ~/.local/share/applications/ an und hinterlegt beim Firefox aufruf die Webadresse. Dazu noch ein transparentes Icon einbinden und beim ersten Aufruf am besten ein eigenes Firefox-Profil anlegen. Das funktioniert so bei allen meiner WebApplikationen, selbstverständlich ist es viel langsamer als bei einer nativen App aber es funktioniert zufriedenstellend.

[Desktop Entry]
Version=1.0
Name=<NameDerApp>
Comment=<BeschreibungDerApp>
Exec=firefox -kiosk -P <ProfilNameDerApp> https://<AdresseDerApp>
Icon=/home/purism/.local/share/applications/<IconDerApp>.png
Terminal=false
Type=Application
MimeType=text/html;text/xml;application/xhtml+xml;application/vnd.mozilla.xul+xml;text/mml;x-scheme-handler/http;x-scheme-handler/https;
Actions=new-window
NoDisplay=false

Hier ein paar Screenshots von meinen eingebundenen WebApps im Kiosk-Modus:

Gnome / Posh

Das UI des Librem 5 ist immer noch sehr einfach gehalten und macht damit nichts falsch. Es ist flüssig geworden und reagiert wie man es erwartet. An einigen Ecken gibt es Darstellungen die überhaupt nicht auf den Bildschirm passen, dann muss mann die Darstellung skalieren und durch eine kleinere Darstellung navigieren. Noch sind nicht alle Bereiche für Smartphones optimiert.

Die Wischgesten sind inzwischen intuitiver z.B. man kann die obere und untere Leiste durch eine Wischgeste öffnen (Das kennt jeder so). Vorher musste man die Leisten antippen, damit sie sich diese öffnet. Diese Gesten waren sehr ungewohnt und ich weine ihr keine Träne nach.

Ein, wie ich finde, geniales Feature ist das Einbinden von PDFs die unter ~/phosh-ticket-box liegen. Ohne sich anmelden zu müssen kann man den Anmeldebildschirm nach rechts wischen und bekommt eine Liste von hinterlegten PDFs. Wenn man eines auswählt wir das PDF angzeigt und man kann es zum Einlass vorzeigen bzw. man kann den QR-Code scannen lassen. Das ist ein super Feature, welches ich nicht mehr vermissen möchte. Man kann sich dieses und weitere Features mit dem Package “phosh-mobile-settings” nach installieren.

Ein weiteres Feature ist das Würfeln der Nummern auf den Lockscreen - schlicht und sicher. Das Feature ist ebenfalls im Package “phosh-mobile-settings” enhalten.

Waydroid (Android)

Seit kurzem kann man sich die Applikation WayDroid auf das Librem 5 installieren. WayDroid liefert ein lauffähige Android-Image auf Basis von LineageOS 18.1 (Android 11) aus, inkl. regelmäßiger updates. Das Android läuft auf dem Librem 5 erstaunlich schnell und harmoniert mit dem Librem 5 UI, sogar die App-Icons des Android-Image sieht man in der Librem 5 App-Übersicht. Alles ist im moment irgendwie noch halbgar aber es funktioniert. Die Kamera wird aktuell noch nicht an das Android durchgereicht. Das Problem haben aber fast alle Applikationen auf dem Librem 5.

Ich habe nach der Installation gemerkt, dass ich es bisher gar nicht weiter nutzen wollte. Das finde ich selbst etwas irritierend, da ich es eigentlich die ganze Zeit haben wollte und nun weiß ich damit nichts anzufangen.

Kamera

Keine merklichen Fortschritte gab es bei der Kamera-App, es ist immer noch alles manuell einzustellen. Sie macht ihren Job und erzeugt ein komprimiertes .png und ein RAW .dnf file, wenn man die Bilder im RAW-Format auf den Desktop nachbearbeitet, können dabei ansehliche Fotos raus kommen. Automatismen sind immer noch nicht vorhanden und eine Blitz-Funktion fehlt ebenfalls. Es gibt schon eine erste instabile Entwicklerversion, wo der Autofokus hervorragend funktionieren soll. Das andere Applikationen die Kamera adhoc nicht ansteuern können ist allerdings sehr ärgerlich.

Fazit

Es wird. Ich habe bald alle meine Dienste irgendwie im Librem 5 angebunden und mich mit vielem arrangiert, das im Guten wie im Schlechten. Ich brauche nun kein Android, iOS oder Sailfish mehr, der Gedanke dorthin zu wechseln ist nun weiter weg denn je. Mit der Anbindung meiner Nextcloud habe ich alle Kontakte und Kalendereinträge zentral verwaltet und das über mein Familien-Ökosystem hinweg. Die Telefonie funktioniert und ich kann auch mein SIP (Festnetz) anbinden. Das Chatty funktioniert auf Textbasis für SMS, XMPP und Matrix, nur eine Anbindung von Signal wäre noch wünschenswert. Mit Goodvibes kann ich alle meine Radiosender und mit Podcast meine Lieblingssendungen anhören. Mit Secrets (ähnlich KeePass) habe ich alle meine nötigen Zugänge gesichert dabei. Das Emailprogramm Geary ist hart an der minimalsten Funktionsgrenze, lässt sich aber benutzen. Dinge wie 2FA, PDF-Viewer, Gparted, Terminal, Videos & Musikplayer … ist alles dabei. Es knirscht noch in allen Ecken aber das System funktioniert und ist nutzbar.

Dinge die ich am L5 mag

• Das es ein normales Linux-System ist
• Die Verbindung von Mobiler- und SIP-Telefonie in einer App
• Apps: Terminal, Secrets (KeePass), Lollypop (MusicPlayer), Podcasts uvm.
• Die Anbindung an mein Nextcloud (Kalender, Kontakte, DAV)
• Die Kill-Switche an der Seite - Schnell und unkompliziert
• Der 3,5 Klinken-Anschluss
• Eine normale Druckeranbindung!
• Waydroid als Android-Ersatz
• Das einbinden von Webapps via Firefox-Kioskmodus

Dinge die sich noch am L5 verbessern müssen/sollten

• Robustere Netzwerkverbindungen
• Das deaktivieren der Vibration bei Anrufen in der Telefonie-App
• Schnelleres Startverhalten von Chatty
• Firmware Support
• Die Kamera (Unterstützung in Browsern/Apps u.a. in FireFox und Waydroid)
• Eine vollwertige Tastatur für die CLI, die z.B. auch in einer DOS-Box funktioniert (Emulatoren)
• Fehlende GNSS Funktionalität (GPS ist noch nicht per default aktiviert)
• Wärmeentwicklung und Stromverbrauch

Dinge die ich mir von der Community noch wünsche

• Eine vollwertige App für Signal
• DRM Unterstützung für Streaming-Dienste (Widevine)
• Maps mit GPS-Funktion und angepasster Darstellung (z.B. bei Routenplanung)

Ausblick

Ich gehe weiterhin noch von rund 1,5 Jahren Entwicklung aus, bis das Librem 5 rund läuft. Dann noch weitere zwei Jahre, bis die ersten normalen User die neue Linux-Mobile Plattform nutzen können ohne technischen Hintergrund kennen zu müssen. Das Thema “Grundlegende Dinge” wird also noch locker bis 2025 gehen und bis dahin wird noch sehr viel Zeit und Geld verbrannt. Man kann Purism viel vorwerfen aber es ist Purism gelungen eine Initialzündung für Linux auf Smartphones zu starten und das PinePhone Projekt hat ebenfalls die Community nochmals stark erweitert. Man muss berücksichtigen das viele Communitys/Projekte unabhängig vom Librem 5 an einer Anpassung auf mobilen Endgeräten arbeiten. Die gesamte Entwicklung würde ich mir schneller wünschen aber wenn man sieht wie viele Menschen daran arbeiten, im Vergleich zu Android oder iOS, dann ist in den letzten zwei Jahren schon echt viel passiert.

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